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Predictive Analytics & Anticipatory Logistics

Wissen, bevor es der Kunde weiß

Voraussehen zu können, welche Güter und Waren in unmittelbarer Zukunft nachgefragt werden, um sie rechtzeitig und ausreichend am richtigen Ort verfügbar zu haben, klingt nach einem guten Plan. Futuristischer wird es, wenn all das in einem Stadium passiert, wo noch nicht einmal der Kunde weiß, was er künftig bestellen wird.

Besonders im heiß umkämpften eCommerce-Geschäft gehört die intensive Auswertung von Nutzerdaten, Suchhistorien, Merkzetteln oder Wunschlisten bereits zum Alltagsgeschäft. Hinzu kommt das Zeitfenster zwischen Bestellung und Erhalt der Ware, das für den Konsumenten nicht kurz genug sein kann und somit ebenfalls zum wettbewerbsentscheidenden Faktor geworden ist. Welch enormes Potenzial hätte es also, könnte man Verfügbarkeiten und Versandwege weiter optimieren?

Predictive Analytics nennt sich eine vielversprechende Anwendung für Künstliche Intelligenz, die genau hier ansetzt. Durch die Analyse großer quantitativer und qualitativer Datenmengen bzw. deren Verwendung in Datenmodellen sollen valide Vorhersagen zur Bedarfsermittlung und damit letztlich zum Nutzerverhalten generiert werden. Werden die Modelle permanent mit immer neuen echtzeitnahen Daten gespeist, können selbstlernende Algorithmen immer zuverlässigere Simulationen erstellen. Im Idealfall erhält ein Unternehmen damit nicht nur in jeder Sekunde einen genauen Überblick über alle aktuellen Vorgänge innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette, sondern auch eine sehr konkrete Einschätzung, was seine Kunden in naher Zukunft benötigen bzw. bestellen werden.

 

Der Zukunft ein Stück näher

In der US Army setzte man schon vor einigen Jahren auf eine ähnlich komplexe Vorhersagemethode. „C4I“ (C4 wie Computer, Command, Control and Communication. I wie Intelligence) heißt das Programm, das auf Basis entsprechender Daten und unter Verwendung eines Algorithmus Prognosen über den zukünftigen Bedarf an Munition, Treibstoff und militärischem Equipment erstellt. Mit diesem Modell kann die Armee die für den Einsatz benötigten Nachlieferungen lenken und eine vorausschauende Planung und Steuerung der eigenen Lieferkette sicherstellen. Die Aufgabestellung der Logistik im zivilen Bereich ist da nicht viel anders gelagert.

 

Von der Theorie zur Anwendung

Was unmittelbar zu konkreten Anwendungsmöglichkeiten von Predictive Analytics führt – nämlich zum Konzept der Anticipatory Logistics. Vor allem Einzelhändler wie Alibaba und Amazon verfügen über einen enormen Datenpool über ihre Kunden, deren Verhalten, getätigte Einkäufe und dokumentierte Absichten – eine unerschöpfliche Fundgrube für Deep Learning und Big Data Management.

Nicht umsonst hat sich Amazon bereits 2014 ein Patent auf „Anticipatory Shipping" gesichert – ein Konzept, das darauf abzielt, Produkte vorherzusagen, zu versenden und zu verpacken, die voraussichtlich bald von einem Kunden gekauft werden. Mit anderen Worten: Produkte werden bereits vor dem tatsächlich getätigten Kauf an einen lokalen Hub des jeweiligen Kunden versendet. Geschwindigkeit zählt eben – Angesichts der Bestrebungen der eCommerce-Branche, Lieferung innerhalb eines Tages an den Online-Käufer zu bringen, scheint man bei Amazon daran zu arbeiten, das Produkt zu versenden, noch bevor die Online-Bestellung überhaupt aufgeben wurde.

 

Hier und jetzt, bitte!

Die Szenarien dafür sind gar nicht so unrealistisch: Beim Automotiv-Hersteller XY wird die Bestellung eines Ersatzteiles im internen System angezeigt. Der Werkstatteinkauf erledigt die Bestellung unmittelbar im Online Shop des Lieferanten. Durch das vergangene Bestellverhalten hat der Lieferant bereits mit der Bestellung gerechnet und rechtzeitig für Verfügbarkeit gesorgt. Die Lieferung wird taggleich zugestellt, sodass der Ersatzteil sofort eingebaut werden kann, gänzlich ohne Zeitverzögerung oder zusätzlichem Lageraufwand beim Kunden.

Ähnlich funktioniert die Logik im Endverbrauchergeschäft: Frau Z hat eine spontane Essenseinladung an Freunde für den folgenden Abend ausgesprochen. Dem Anlass geschuldet soll das Rundherum besonders sein – allerdings müssten noch zusätzliche Dekoteile besorgt werden. Die Kundin orientiert sich zuerst online und findet die Artikel im Onlinesortiment eines Retailers. Dieser Retailer hat eine lokale Filiale in der Nähe des Wohnorts von Frau Z. Aufgrund der Vorhersage von Anticipatory Shipping – basierend u.a. auf der Kauf- und Onlinesuchhistorie von Frau Z – werden die Artikel bereits im Vorfeld in der Filiale auf Lager gelegt.

Gleichzeitig weiß der Anbieter aufgrund von Location-based-Services, wann sich der Kunde in der Nähe der Filiale befindet und sendet per Push-Mitteilung die Nachricht, dass die Waren verfügbar sind. Frau Z wählt daraufhin statt einer riskanten Zustellung die persönliche  Abholung auf dem Heimweg vom Arbeitsplatz und der kulinarische Abend ist somit gerettet. Dies klingt zwar derzeit futuristisch, soll aber laut zahlreicher Studien bald gelebte Realität sein.

 

Mouseklick überflüssig

Das Potenzial solcher Modelle ist nach oben hin natürlich offen. So wäre es durchaus vorstellbar, dass Kunden künftig dem Online Shop ihres Vertrauens ein generelles Mandat für antizipatorische Lieferungen geben. Das funktioniert dann so: Die Prognose-Technik des Anbieters ermittelt den Bedarf des Kunden und das Päckchen erreicht sein Ziel, ohne dass der Konsument einen Finger dafür rühren muss. Mouseklick überflüssig.

Was richtig wegweisend klingt, hat jedoch seine Tücken und neben Amazon ist es bisher auch noch keinem anderen Unternehmen gelungen, antizipatorische Lieferungen vollumfänglich in ein existierendes Logistikkonzept einzubinden. Knackpunkt ist zum einen die enorm komplexe Datenanalyse, die nicht nur innovatives Know how, sondern auch anspruchsvollste IT Infrastruktur benötigt. Doch auch der Kunde ist noch nicht so gläsern, wie sich das manch Einkaufsspezialist wünschen würde. Was bedeutet: Verhaltensmuster von Nutzern sind mit heutiger Technologie durchaus gut erkennbar. Daraus eine präzise sitzende Schablone abzuleiten, weiß die menschliche Spontaneität dann aber offensichtlich doch - noch - zu verhindern. Es bleibt also spannend wie sich dieser technologische Ansatz noch entwickeln wird.