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Der zivile Überschallflug soll erneut abheben

Rückkehr der Über(schall)flieger

Nach über zwei Jahrzehnten Stille erwarten Überschall-Passagierflüge nun ein Comeback. Ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt, hielten Überschalljets 1968 mit der legendären Concorde Einzug in die kommerzielle Luftfahrt. Obwohl die Concorde ihren letzten Flug 2003 absolvierte, erlosch der Traum vom Hochgeschwindigkeitsflügen auch danach nie. Jetzt wird diese Vision wiederbelebt und neu konzipiert: Das Ziel ist, das Reisen noch schneller und attraktiver zu machen. Im Januar 2025 erreichte Boom Supersonic, einst ein kleines US-Startup, einen wichtigen Meilenstein. Erfahren Sie mehr über die kühnen Pläne, einen verkleinerten Prototyp, volle Auftragsbücher und einen sowjetischen Vorgänger der Concorde…

Tupolew und Concorde: Erste Einsätze im Zivilflug

Wie so viele Innovationen – von GPS-Tracking bis hin zu Staubsaugerrobotern – hat auch der Überschallflug seinen Ursprung im militärischen Bereich. Am 14. Oktober 1947 durchbrach das US-amerikanische Raketenflugzeug Bell X-1 erstmals mit einem bemannten Flug die Schallmauer und erreichte in etwa 13.100 m Flughöhe eine Geschwindigkeit von 1.125 km/h (Mach 1,06). Knappe zwanzig Jahre später brachte das sowjetische Konstruktionsbüro Tupolew mit der Tu-144 das erste kommerzielle Überschallflugzeug auf den Markt. Die Tu-144 vollzog ihren Jungfernflug am 31. Dezember 1968, dicht gefolgt von der britisch-französischen Concorde, die am 2. März 1969 zum ersten Mal erfolgreich abhob. Obwohl die sowjetische Variante ihren Erstflug zwei Monate früher über die Bühne brachte und mit einer Reisegeschwindigkeit von 2.430 km/h (Mach 2,20) schneller als die Concorde war, die „nur“ 2.179 km/h (Mach 2,02) erreichte, war Letztere wesentlich länger und aktiver im Einsatz. Während die Tu-144 nur ein halbes Jahr im Linienbetrieb war und nach zwei Abstürzen aus dem Rennen genommen wurde, absolvierte die legendäre Concorde bis zum Jahr 2003 etwa 50.000 Flüge mit Überschallgeschwindigkeit und beförderte dabei über 2,5 Millionen Passagiere. Sie galt als der Inbegriff des schnellen und mondänen Reisens. Am 25. Juli 2000 kam es in Paris zu einem tragischen Absturz und 2003 wurde der Linienbetrieb aufgrund mangelndes Passagieraufkommens und Unwirtschaftlichkeit wegen des hohen Treibstoffverbrauchs endgültig eingestellt. Danach wurde es einige Jahre etwas ruhiger rund um das Thema kommerzieller Überschallflüge, was wohl auch dem hohen Kerosinverbrauch sowie dem Lärmbelästigungsfaktor des Schallknalls zu schulden ist.

Schon mal von der „Baby Boom“ gehört?

Im Oktober 2020 rückte der zivile Überschallflug erneut in den öffentlichen Fokus, als Boom Supersonic, ein Start-up aus Denver, Colorado, mit der Vorstellung seines Prototyps „XB-1“ die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Bei diesem Modell, das auch liebevoll „Baby Boom“ genannt wird und Platz für genau einen Piloten bietet, handelt es sich um eine kleine Version (Maßstab 1:3) des geplanten Serienmodells Overture. Die Overture soll eine Geschwindigkeit von Mach 2,2 erreichen und bis zu 75 Passagiere auf einer Reichweite von 8.300 Kilometern befördern können. Damit wäre sie etwas schneller als die Concorde, was sie zum schnellsten Verkehrsflugzeug der Welt machen würde. Die Fluglinie Japan Airlines hat bereits 20 Stück vorbestellt, die Virgin Group zehn. Obwohl die Overture vorerst nur als kommerzielles Passagierflugzeug zum Einsatz kommen soll, besteht laut Unternehmensgründer Blake Scholl auch Interesse an einer Weiterentwicklung für Fracht- und Militärtransporte. Auch im Transportbereich wäre das Flugzeug somit die mit Abstand schnellste Möglichkeit, Frachttransporte in die Luft zu bringen.

Die "Overture" wirkt wie eine Concorde 2.0.

2025 erfolgte der „Schallknall“

Die ersten Testflüge der XB-1 waren für 2021 in der Mojave-Wüste in Kalifornien geplant, um zu zeigen, ob Design und Technologie das halten würden, was sie versprachen. Boom konnte den überaus ambitionierten Termin von 2021 zwar nicht einhalten, aber im März 2024 fand der erste „langsame“ Testflug mit nur 440 km/h statt. Einigen Monate später war es dann soweit: Am 28. Januar 2025 wurde die kleinere Version des Flugzeugs vom ehemaligen US-Navy-Piloten und Boom-Testpiloten Tristan „Geppetto“ Brandenburg in Kalifornien erfolgreich auf eine Geschwindigkeit von Mach 1,1 beschleunigt. Während des Fluges erreichte die XB-1 dreimal den Überschallbereich und landete nach einem Flug von etwas mehr als 30 Minuten sicher am Boden.

Das Flugzeug ist 19 Meter lang und seine verlängerte Deltaflügelform hat eine Flügelspannweite von nur 6,4 Metern. Dabei kommen in großem Umfang hochentwickelte Technologien zum Einsatz, darunter Kohlefaserverbundstoffe, fortschrittliche Avionik und digital optimierte Aerodynamik. Das Erreichen der Mach-1-Marke ist eine enorme Leistung für das Unternehmen und ein wichtiger Meilenstein für die Zukunft des Überschall-Flugzeugs Overture.

Die „Overture“ gewinnt an Zugkraft

Booms jüngster Erfolg bei der Entwicklung der Overture zahlt sich zunehmend aus: Im Juni 2022 kündigte United Airlines einen Vertrag zum Kauf von 15 Flugzeugen mit einer Option zum Kauf von 35 weiteren an. Zwei Monate später folgte American Airlines diesem Beispiel und stimmte dem Kauf von 20 Flugzeugen mit einer Option auf 40 weitere zu. Boom hat in der Vergangenheit behauptet, dass die Herstellung jedes Overture-Flugzeugs 200 Millionen Dollar kosten wird, und der Auftragsbestand steht derzeit bei 130 (Vor-)Bestellungen.

Die Einführung der ersten Maschine ist für 2026 geplant, die Testflüge sollen 2027 beginnen und die Musterzulassung soll bis 2029 erfolgen. Am Piedmont Triad International Airport in Greensboro, North Carolina, ist eine 37.000 Quadratmeter große Produktionsstätte geplant. Interessanter Zufall: In North Carolina fand übrigens auch der erste Flug in der Geschichte der Luftfahrt statt. Bei der Einführung soll die "Overture" 64 bis 88 Passagiere über eine Distanz von 7.870 Kilometern transportieren können.

Zeit ist Geld: Attraktive Option für Geschäftsreisende

Sowohl Boom als auch Aerion sehen die Zielgruppe ihrer Überschallflugzeuge in naher Zukunft vor allem bei Geschäftsreisenden, die höhere Kosten nicht scheuen, sofern dadurch Reisezeit gespart werden kann. Boom-Gründer Blake Scholl kann sich derzeit 500 mögliche Routen für diese Zielgruppe vorstellen. Beispielsweise könnte die Overture die Dauer eines Fluges von London nach New York von sieben Stunden auf drei Stunden und 15 Minuten verkürzen, den Weg von San Francisco nach Tokio könnte sie in fünfeinhalb statt elf Stunden zurücklegen, und ein Flug von Los Angeles nach Sydney könnte künftig nur noch knappe sieben anstatt 15 Stunden dauern. Auch, wenn bei den derzeitigen Forschungsprojekten der Personenverkehr im Vordergrund steht, liegt eine Anwendung auch für höchst zeitkritische Frachtsendungen möglicherweise nicht allzu fern. Während an der Treibstoff- und Kosteneffizienz sicherlich noch ein paar Jahre gefeilt werden muss, beobachten wir weiterhin mit Staunen und Spannung die rasante Entwicklung dieser Design- und Technikwunder.

Kurzer Exkurs in die Physik: Wie kommt es zum Überschallknall?

Das Prinzip des Überschallknalls ist simpel: Ab ca. 1.100 km/h erreicht ein Flugzeug jene Geschwindigkeit, mit der sich Schallwellen in der Luft fortbewegen. Da die vom Flugzeug selbst erzeugten Geräusche nun nicht mehr an dem ebenso schnellen Flugzeug in alle Richtungen vorbeifließen können, stauen sie sich vor der Maschine an und erzeugen eine „Mauer aus Schall“, die eigentlich ein Hochdruckgebiet darstellt. Zunächst ist diese Stoßwelle scheibenförmig, wodurch der optische „Wolkenscheibeneffekt“ spektakulär zustande kommt. Überschreitet das Flugzeug jedoch Mach 1, dann überholt es die Stoßwelle, die sich nun zu einem „Mach‘schen Kegel“ formt. An dessen Spitze komprimiert sich der Schall zu einem extrem lauten Knall: dem Überschallknall. Dies ist übrigens auch der Grund, weshalb Überschallflüge über dem Festland derzeit untersagt sind.