Die Kraft des Windes nutzt die Menschheit seit ihren Anfängen auf hoher See. Als Antriebshilfe wird der Wind bereits seit Jahren auch vermehrt von Transportschiffen genutzt. Vor allem Firmen mit Fairtrade- und Bio-Produkten verladen oftmals ihre Waren auf Schiffen, die Segel nutzen. Doch leider erweist sich der Platz in den Bäuchen der Segler neben dem langsameren Tempo als größter Hemmschuh. Doch mit der anstehenden Verschärfung der Emissionsgrenzen im Rahmen von IMO 2020 werden zusätzliche Segel bzw. Kites als Hilfsmaßnahmen zur Unterstützung der gängigen Antriebsmethoden immer attraktiver. Kostenersparnis und vor allem eine Reduktion der enormen Luftverschmutzung sind ein gewichtiger Vorteil.
Die Idee zur Nutzung von Segeln und Kites ist nicht gänzlich neu. Bereits um die Jahrtausendwende experimentierte die Hamburger Firma SkySails mit einem vollautomatischen Zugdrachenantrieb, der mit Hilfe von Windenergie Frachtschiffe und große Yachten zusätzlich zum Motorantrieb ziehen sollte. Auch bei diesem System galt das Ziel, die Schiffe profitabler und umweltfreundlicher zu betreiben. Bei der Jungfernfahrt 2008 wurde der Betrieb des Kites auf einer Route mit knapp zwölftausend Seemeilen ausgiebig getestet. Obwohl die Effekte nicht so umfangreich waren wie erwartet, war man mit den Testläufen sehr zufrieden. Die aufziehende Weltwirtschaftskrise und der damit verbundene Einbruch der Treibstoffpreise ließen das vielversprechende Projekt leider entschlafen.
Airbus will seine eigenen großen Frachtschiffe auf hoher See künftig auch mit Hilfe riesiger Lenkdrachen antreiben. AirSeas, ein Tochterunternehmen des europäischen Flugzeugbauers, hat einen Windantrieb für die eigene Flotte – Airbus betreibt vier Frachter, die Flugzeugteile abseits von Europa zu Werken nach Mobile in den USA und nach Tianjin in China transportieren – entwickelt. Die 1.000 Quadratmeter großen Lenkdrachen (Kites) werden rund 20 Prozent der Antriebsenergie übernehmen und sollen den Treibstoffverbrauch um den gleichen Prozentsatz senken.
Im Herbst 2018 wurde der erste Kite bestellt und auf den Namen „SeaWing“ getauft. Es ist geplant, dass der SeaWing automatisiert zum Einsatz kommt: Das Segel ruht zusammengefaltet am Bug des Frachters, wenn der Wind ausbleibt. Meldet die Wetterstation des Schiffes ein ausreichend starkes Windaufkommen, aktiviert der Kapitän das Segel einfach per Knopfdruck. Die Flughöhe ist zwischen 200 bis 300 Metern Höhe anberaumt, wo die Strömungen der Windenergie am günstigsten erachtet werden. Mit einem leichten, aber extrem reißfesten Seil mit dem Schiff verbunden, soll die Kraft des Windes maximal genutzt werden. Sobald der Wind wieder nachlässt, wird das Drachensegel wieder automatisiert eingeholt.
AirSeas will den Lenkdrachen selbstverständlich auch anderen Reedern anbieten. Diese stehen wegen der Luftverschmutzung durch ihre Schiffe zunehmend unter Druck, gehört doch die Seeschifffahrt zu den größten Umweltsündern. Pro Schiff spart die Reederei Kraftstoff in Höhe von ein bis zwei Millionen Dollar pro Jahr ein, versichert AirSeas. Durch die Kostenersparnis sollen sich die Ausgaben für das System innerhalb eines kurzen Zeitraums amortisieren. Airbus erwartet eine Senkung der Kohlendioxidemissionen um stolze 8.000 Tonnen pro Jahr. Außerdem reduziere sich der Ausstoß von Schadstoffen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden und Ruß. Wir wünschen dem ambitionierten Projekt viel Erfolg als – im wahrsten Sinne des Wortes – zugkräftiges Hilfsmittel.
Auch der Automobilhersteller Renault setzt auf saubere Segelenergie als Teil seines Ziels, die CO2-Emissionen im Zeitraum 2010-2022 insgesamt um ein Viertel zu senken. Der französische Automobilriese gilt als erster Kunde des in Nantes ansässigen Unternehmens „Neoline“. Dieses hat ein (Auto-)Transportschiff mit vier Segeln entworfen und begann unlängst mit dem Bau des ersten von zwei bestellten Schiffen. Die Auslieferung an Renault steht für 2021 an und soll die Verschiffung von Neuwagen in das französische Überseegebiet Saint Pierre und Miquelon, vor der Küste Kanadas, übernehmen. Das mit zwei Zwillingsmasten bestückte lange Schiff (Länge: 136 Meter) soll über eine Rampe im Heck beladen werden. Mit drei Ladeflächen ausgestattet, soll es für den Transport von Gütern aller Art, einschließlich Schwergut, Containern und Ladegütern in Übergrößen ausgelegt sein.
Laut der Herstellerfirma „Neoline“, verspricht man sich eine CO2-Reduktion von bis zu 90 Prozent gegenüber einem Schiff gleicher Kapazität – und das bei einer absolut annehmbaren Reisegeschwindigkeit. Die Schiffe sollen den Atlantik mit 11 Knoten queren können, so dass sie ihr Ziel nach 13 Tagen erreichen würden. Schiffe mit konventionellem Schweröl-Antrieb veranschlagen im Durchschnitt acht Tage für die gleiche Route.
15 Besatzungsmitglieder sind erforderlich, um die insgesamt über 4.000 m² große Segelfläche bedienen zu können. Im hinteren Teil des Laderaums kann der „Neoliner“ sogar eine Höhe von 9,80 Metern anbieten, um Sondertransporte aufzunehmen. Ob überdimensionierte Industriegeräte, große Trucks oder ähnliches - die Firma verspricht sich von der Flexibilität bei der Beladung einfach eine größere Rentabilität. Denn mit einem reinen Ro-Ro Autotransporter von Becker Marine Systems und Wallenius Marine, scharrt bereits das nächste vielversprechende Frachtschiffprojekt mit Zusatzsegeln in den Startlöchern.
Unabhängig von den weiteren Entwicklungen können wir diesem Antriebsansatz mit reinem Gewissen die Daumen drücken und ein „steife Brise“ wünschen. Der Anblick der Weltmeere würde sich auf jeden Fall verändern.