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Zug um Zug wird autonomer Schienenverkehr Realität

Autonom auf Schiene

Autonome Systeme sparen Zeit und Kosten – und sind nicht zwangsläufig auf die Straße begrenzt. Vor allem beim Eisenbahngüterverkehr sieht man sich hier seit einiger Zeit „voll auf Schiene“. Mit ersten vorsichtigen Schritten nähert man sich konsequent dem Ziel, nach und nach autonom fahrende Züge in den Verkehr zu schicken. Wir blicken auf einen Pilotversuch mit 240 Waggons im australischen Outback, Ausschau haltende HD-Kameras und außergewöhnliche Optimierungspotentiale im Betrieb.

Derzeit kann man ja den Eindruck gewinnen, dass sich das Thema „autonomes Fahren“ vor allem auf der Straße abspielt. Selbstfahrende Busse, fahrerlose LKW, autonome Navigationssysteme in PKWs beschwören regelmäßig die Zukunft der Mobilität. Doch beim Bahnverkehr ist diese Entwicklung schon längst angekommen und geht in Grundzügen bereits etwas länger zurück.

30 Jahre Vorsprung bei der Bahn

Im Vergleich dazu hat die Bahn einigen Vorsprung aufzuweisen. Bereits 1983 nahm im nordfranzösischen Lille die weltweit erste vollautomatisch fahrende U-Bahn ihren Betrieb auf. Heute sind rund 100 Millionen Passagiere jährlich damit unterwegs. Und auch in mittlerweile 15 weiteren europäischen Städten von Stockholm, Kopenhagen, London über Paris, Nürnberg, Budapest bis Barcelona, Mailand, Rom, Athen, Dubai oder Istanbul transportieren autonome bzw. teilautonome U-Bahnen mehr als eine Milliarde Menschen im Jahr. Zugegeben, eine U-Bahn ohne Straßenübergänge und Co. ist eine etwas leichtere Übung, doch auch im „klassischen“ Regelverkehr tut sich weltweit einiges.

Doch was sollen solche Konzepte bringen? In jedem Fall eine höhere, weil präzisere Taktung des Fahrplans und damit verbunden bis zu 20% mehr Fahrgäste und bis zu 30% weniger Energieverbrauch. All das wird durch ein effizientes, computergesteuertes Fahren ermöglicht und bietet zudem auch eine betriebswirtschaftlich genau vorhersehbare und stabile Kostenrechnung. Auch im Güterverkehr sieht man vergleichbare Optimierungspotentiale.

2,4 km langer Zug bewegt sich allein

Es geht aber auch mit deutlich mehr Kilometern und transportierten Volumina. Das britisch-australische Bergbauunternehmen Rio Tinto hat es unter dem Namen „AutoHaul“ vorgemacht. Das weltweit drittgrößte Unternehmen seiner Branche startete nach fast 10-jähriger Entwicklungs- und Testphase im Juni 2019 den vollautomatisierten Betrieb seiner 1.500 km langen Eisenbahn in der Region Pilbara in Westaustralien. Kostenpunkt der gesamten Entwicklung: rund 790 Millionen Euro.

Die erste Güterbahn der Welt mit automatisiertem Netzbetrieb betreibt bis zu 50 unbemannte Züge gleichzeitig. Jeder Zug besteht aus 240 Waggons mit einer Länge von 2,4 km und benötigt zwei bis drei Lokomotiven, um die 28.000 Tonnen Eisenerz von den Minen des Unternehmens zu den Umschlaghäfen von Dampier und Cape Lambert zu ziehen. Die Fahrt von 800 Kilometern geht vollautomatisiert über die Bühne und dauert rund 40 Stunden.

Ein bemannter Betrieb ist lediglich für die letzte Meile in den Häfen vorgesehen. Das Be- und Entladen aus den Waggons erfolgt im Anschluss aber wieder vollkommen automatisiert.

Es rechnet sich

Die Umstellung schlägt sich deutlich in den Zahlen nieder: Durch das Entfernen der bis dahin nötigen zwei bis drei Schichtwechsel hat sich die durchschnittliche Fahrt um eine Stunde verkürzt. Die Laufzeitabweichungen betragen nur noch 15 bis 30 Sekunden, verglichen mit 2,5 bis 5 Minuten, als die Züge besetzt waren. Dies hilft dem Betreiber effizientere Zugfahrpläne zu takten, Engpässe zu reduzieren und die Produktivität zu steigern. Zudem ergaben sich Verbesserungen in der Kraftstoffeffizienz und eine Verringerung des Verschleißes an Strecke und Lokomotiven. Anzumerken bleibt, dass sich solche Projekte im abgelegenen Outback selbstverständlich leichter umsetzen lassen. Ein erster Schritt war jedoch getan und bewährt sich seitdem.

Der "AutoHaul" Frachtzug in Australiens Outback

High-Tech ist unentbehrlich

Als Technologiepartner hat sich Rio Tinto die Firma Hitachi Rail STS ins Boot geholt, um ein automatisiertes Zugmanagementsystem zu installieren. Ein zentraler „Vital Safety Server“, der im Wesentlichen ein Funkblockzentrum ist, koordiniert das sichere und flexible Management von Zugbewegungen. Hinzu kommen Lokomotivsteuerungssysteme, um den Einsatz elektronisch gesteuerter pneumatischer Bremsen zu überwachen. Zusätzlich sind die Lokomotiven mit ausgeklügelten Kollisionserkennungssystemen bzw. einer automatischen Zugschutztechnologie ausgestattet, die die Zuggeschwindigkeit steuert und Geschwindigkeitsbegrenzungen einhält.

Besonderes Augenmerk wurde bei der Entwicklung auf die Bahnübergänge gelegt, die das größte Risiko für die Öffentlichkeit darstellen. Diese sind mit Beleuchtung, Videoüberwachung und einem laserbasierten Hinderniserkennungssystem ausgestattet. Die HD-Kameras bieten eine klare Sicht auf Kreuzungen und sollen jeder menschlichen Sichtlinie überlegen sein. Sie sehen, auf Sicherheit und einen geregelten Ablauf wird viel Wert gelegt.

Erste Schritte führen zu weiteren Projekten

Interesse an dem komplexen, aber eindeutig zukunftsweisenden Projekt kommt mittlerweile aus der ganzen Welt. Auch, wenn man bei Rio Tinto offen eine Sondersituation einräumt: „Der Grund, warum wir dies umsetzen konnten, ist, dass wir ein geschlossenes privates Gleissystem haben. Es gibt keinen anderen Eisenbahnverkehr, es sind unsere Züge, Zugsteuerungssysteme, Traktionssysteme, unsere Gleisinfrastruktur, Minen und Häfen. Außerdem ist die Pilbara-Region eine trockene Wüste mit minimaler Interaktion zwischen Menschen und Schienennetz.“

Dennoch macht das Beispiel Schule. Auch im US-Bundesstaat Colorado arbeitet man seit 2019 mit dem System „LEADER AutoPilot“ der Knorr-Bremse-Tochter New York Air Brake (NYAB). Erfolgreiche Versuche bewegten drei Lokomotiven und 30 beladene Waggons mit 4.725 nachlaufenden Tonnen Gewicht ohne menschliches Eingreifen auf einer 77 Kilometer langen Teststrecke.

In Europa hat Frankreich die Nase vorn

Etwas weiter ist man dann doch schon bei der französischen Staatsbahn SNCF, die in Europa als Innovationsführer bei diesem Thema gilt. 2024/25 sollen die ersten autonomen Züge im Regelbetrieb unterwegs sein. Bereits 2023 sollen zwei Prototypen vollkommen selbstständig fahren. Seit knapp drei Jahren ist man an dem intensiven Pilotprojekt zur Entwicklung von sogenannten „Robo-Zügen“ schon dran. Mit dabei sind unter anderem der Technikkonzern Bosch, die Zughersteller Alstom und Bombardier sowie die Thales-Gruppe mit ihrer Kompetenz in Sachen künstlicher Intelligenz. 30 Prozent der 57 Millionen Euro schweren Investition übernimmt der französische Staat, den Rest teilen sich die Projektpartner untereinander auf.

Für die SNCF ist das Projekt von strategischer Bedeutung, plant man doch führerlose Züge für den Frachttransport einzusetzen. Aus diesem Grund ist man derzeit dabei, eine passende Kartographie des gesamten Bahnnetzes zu erstellen und dieses mit entsprechenden Sensoren auszurüsten. Diese erkennen den jeweiligen Verkehrsfluss, lokalisieren ihn per GPS und können dadurch selbständig Diagnosen erstellen. Ganz im Sinne einer echten Win-Win-Situation, die Effizienz mit Wirtschaftlichkeit verbindet.

Man darf gespannt sein, wie weit diese Entwicklungen noch gehen werden und wie schnell wir uns an vollautomatisierten Güterverkehr ohne „Lokführer“ gewöhnen werden müssen.

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