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Wie kam es eigentlich zu “Normalspur”, “Breitspur“ und Co?

Im Spurweitengewirr: Schiene ist nicht gleich Schiene

Dass Schienengleise weltweit unterschiedliche Breiten haben, ist allerorts bekannt. Teilweise gibt es sogar in ein und demselben Land unterschiedliche Spurweiten. Doch wie kam es dazu, welche Vorteile haben schmale oder breite Spuren und was haben Pferdehintern und römische Streitwägen damit zu tun? Erfahren Sie mehr über entscheidende Millimeter, das Umspuren von Waggons und ein größenwahnsinniges Projekt von Adolf Hitler.

Ein Streitwagen oder zwei Pferdehintern?

Verantwortlich für die Wahl der ersten Spurbreite, in der Anfangszeit der dampfbetriebenen Eisenbahnen ab 1804, waren bereits vorher verwendete Maße im Bergbau. Bei diesen primitiveren Vorläufern der ersten modernen Schienen wurden sogenannte Hunte und Loren zum Abtransport der abgebauten Güter auf rudimentären „Führungsschienen“ aus Holz verwendet. Deren Spurweite soll sich angeblich an den Fahrrillen der alten römischen Straßen orientiert haben. Diese wurden bereits damals beim Bau so angelegt, dass ein römischer Streitwagen – von zwei Pferden gezogen – problemlos in der Spur gehalten werden konnte. Tatsächlich gab es im alten Rom ein anerkanntes Standardmaß für die Achsbreite der Streitwägen und so verwundert es nicht, dass auch viele Transportfuhrwerke dieses Achsmaß übernahmen. Nun, die Geschichte klingt plausibel und könnte vielleicht zu einem gewissen Maß zur Geburt einer Spurweite geführt haben. Dennoch gibt es hierfür keine vernünftigen Belege und somit sollte man diese Theorie ins Reich der Mythen verbannen.

Wie sind die Spurweiten entstanden?

Als Abstand zwischen den Innenkanten der Schienen definiert, entwickelten sich die vielen unterschiedlichen Spurweiten aus einem ganz simplen Grund: In der Anfangszeit der Eisenbahnen, als es noch wenige zusammenhängende Schienennetze gab, konnte sich jeder Erbauer sein eigenes „Betriebssystem“ aussuchen. Meistens verband man ein Bergwerk mit einem Hafen oder einer Ortschaft und erst darauf folgten die ersten personenbefördernden Verbindungen zwischen zwei Städten. Hinzu kam, dass sich die Betreiber auf keine frühe Standardisierung einigen konnten. Denn die Spurweite einer Eisenbahn beeinflusst einerseits Transportleistung und Wirtschaftlichkeit, andererseits aber auch Aufwand und Kosten für den Bau der Gleisverbindung. So verwundert es nicht, dass jeder gerade so baute, wie es ihm am besten passte. Als Folge davon kam es vereinzelt zu skurrilen Gleisbreiten, die lediglich einen halben Meter (Frankreich) oder über zwei Meter (England) betrugen. Und dazwischen gab es noch zahlreiche vermeintliche „Standardmaße“ wie Sand am Meer. Sie unterschieden sich teilweise nur durch wenige Millimeter und dennoch waren sie einfach zu unterschiedlich, mit den heutzutage bekannten Folgen.

Ein unglaubliches Durcheinander

Die Schienennetze entwickelten sich zunehmend weiter und mit dem möglichen Zusammenwachsen entwickelte sich auch die Entscheidung, die Spurweiten anzugleichen. Es trat also eine Art erster „Harmonisierung“ ein, die anfangs zaghaft, danach aber durchaus energisch umgesetzt wurde. In einigen Fällen trugen dennoch kulturelle oder geographische Unterschiede, aber auch geostrategische Aspekte dazu bei, dass an abweichenden Spurweiten festgehalten wurde. Beispielsweise erfüllte der durch verschiedene Spurweiten erschwerte Übergang zwischen den Eisenbahnnetzen für Russland einen bewusst gewählten Zweck: Man entschied sich für die eigene, „russische Spurbreite“, unter anderem deshalb, um im Falle eines Krieges den Vormarsch des feindlichen Militärs zu verlangsamen.

Vorteile und Nachteile

Der Eisenbaubau war billiger, je schmaler die Spurweite war. Darüber hinaus konnten schmale Spurweiten auf entsprechend schmalen Trassen leichter und schneller gebaut werden. Doch auch die breiten Spuren hatten ihre Vorteile: bessere Laufeigenschaften des Zuges, belastungsfähigere Gleise, selbst bei schlechtem Untergrund. Zudem können höhere Geschwindigkeiten gefahren werden. Diese Bauweise war, beispielsweise in den abgelegenen, weiten Ebenen Russlands, bestimmt kein Nachteil. Auf der anderen Seite hat man im unwegsamen Terrain oder in Gebirgen grobe Nachteile. Unvermeidbar große Bogenradien ermöglichen keine wendige Streckenführung und zusätzlich kommen noch die höheren Material- und Errichtungskosten hinzu. So verwundert es nicht, dass sich mit der sogenannten Standardspur schlussendlich ein guter Mittelweg durchsetzen konnte.

Die Standardspur

Am weitesten verbreitet ist bis zum heutigen Tag die Standardspur mit 1.435 mm Spurweite – im England des früher 19. Jahrhunderts waren das 4 Fuß und 8,5 Zoll. Diese Spur wurde nämlich erstmals 1825 vom legendären Eisenbahnpionier George Stephenson in England verwendet. Nach und nach wurde sie zum Standard und setzte sich 1846 endgültig durch, als die Spurweite in Großbritannien gesetzlich vorgeschrieben wurde. Ein anderer Grund dafür war, dass sich zuvor die „Pennsylvania Railroad“ als damals größte und bedeutendste Eisenbahngesellschaft der Welt ebenfalls auf diese Spurweite festlegte. So verwundert es nicht, dass die gleiche Spur in Nordamerika „herrscht“ und Festlandeuropa ebenfalls zu einem großen Teil nachzog. Die kolonialen bzw. wirtschaftlichen Aktivitäten der europäischen Nationen sind zusätzlich dafür verantwortlich, dass sich die Standardspur auch früh in Nordafrika, dem Nahen Osten sowie der Volksrepublik China als „normale Spurweite“ verbreitete. Mit einigen Strecken in Australien, auf japanischen Hochgeschwindigkeitsstrecken, in Teilen Argentiniens sowie in Uruguay, Paraguay und Peru kommt die Standardspur derzeit auf eine Ausdehnung von 720.000 Kilometern weltweit. Das wären ungefähr 18 Äquatorumrundungen!
 

In den Weiten Russlands und am Südkap

An zweiter Stelle folgt mit 1.520 mm (bzw. 1524 mm oder fünf englischen Fuß – ein bisschen „Spiel“ darf sein) die offizielle Breite der russischen Eisenbahnen. Vor allem bei der Erschließung der rohstoffreichen Weiten des russischen Zarenreichs sollte diese Spurbreit zum Einsatz kommen und bewährt sich bis heute auf der wohl berühmtesten Zugstrecke der Welt: der transsibirischen Route. Bis zum heutigen Tag bekommen Eisenbahnfreunde einen erhöhten Puls, wenn sie an diese unglaublich lange und abwechslungsreiche Strecke denken. Auch beim Frachtumschlag hat diese Strecke im Rahmen der „New Silk Road“ eine enorme Aufwertung in ihrer Bedeutung erhalten. Doch auch darüber hinaus kommt die russische Spurweite weltweit auf 222.000 verlegte Schienenkilometer – vor allem in den ehemaligen Sowjetrepubliken, in Afghanistan, der Mongolei sowie Finnland (als ehemaligem Teil des russischen Zarenreichs).

An dritter Stelle folgt die sogenannte „Kapspur“ (englisch auch „cape gauge“) mit 1.067 mm bzw. dreieinhalb englischen Fuß. Die Entstehungsgeschichte dieser Spur und ihrer Bezeichnung ist widersprüchlich. Einerseits soll diese Spurweite nach dem Kap von Südafrika benannt sein, wo sie erstmals im großen Ausmaß verlegt wurde. Andererseits ähnelt „Kap“ bzw. „Cape“ frappant den Initialen von Carl A. Pihls, der diese Spur anfangs in Nordnorwegen einführte. Als talentierter Ingenieur entwickelte er diese Spurbreite, die mit etwa 112.000 Kilometer Schienen auf der ganzen Welt zum Einsatz kommt (vor allem in Südafrika, Japan, Taiwan und Australien).
 

Obskures Sammelsurium an weiteren Spurweiten

Sie denken, wir haben Ihnen bereits genug von unterschiedlichen Spurweiten erzählt? Dabei sind wir noch nicht mal annähernd mit der Auflistung fertig. Als Gegenbeispiel zu den englischen Fuß- und Zollgrößen gibt es auch eine „Meterspur“. Im Rahmen des metrischen Systems lag es einfach auf der Hand, eine „klassische Breite“ von 1.000 mm zu bauen. Es ist die viertmeist verbreitete Spur der Welt mit knapp unter 100.000 Kilometern. Die „metrische Spur“ kommt wirklich überall zum Einsatz: in Brasilien, Indien sowie auf diversen Routen in Asien und Afrika. Doch auch im Hochgebirge der Schweiz kommt der Zug auf der Meterspur „zum Zug“.

Dann gäbe es noch die sogenannte „bosnische Spur“, die aber im Vergleich viel schmäler ist. So gilt sie, beziehungsweise ihre zahlreichen Variationen, als populärste Schmalspurbahn (750-762 mm) der Welt. Die inoffizielle Bezeichnung dieser Spur ist „bosnisch“, da sie zum ersten Mal während des ersten Weltkrieges in Bosnien verwendet wurde. Auch sie ist weltweit im Einsatz, unter anderem an so exotischen Orten wie Nepal und Nordkorea. Von dieser Spur ist es übrigens nicht mehr weit zu den unzähligen „Feldbahnen“, die sich nicht nur im militärischen Einsatz bewährten. Bei diesen gibt es eine enorme Fülle an verschiedenen Breiten, deshalb sehen wir Ihnen zuliebe von einer kompletten Aufzählung ab.

 

Natürlich geht’s auch breiter!

Selbstverständlich geht es auch Gleise, die breiter als die Standard- oder die russische Spur sind. Die „indische Spur“ mit 1.676 mm ist, wie der Name schon sagt, in Indien, Bangladesch, Pakistan, auf Sri Lanka, aber auch Argentinien und Chile populär (über 92.000 Kilometer). Die „irische Spur“ zeichnet sich wiederum durch eine Breite von 1.600 mm aus und ist – richtig geraten – in Irland entstanden. Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Man findet sie auch in Australien und Brasilien (weltweit 15.000 Kilometer). Beide Länder überzeugen übrigens durch eine Auswahl zahlreicher unterschiedlicher Spurbreiten.

Doch selbst diese breiten Spurweiten gelten im Vergleich zu der niemals gebauten Breitspurbahn Adolf Hitlers als mickrig. Als eines seiner absoluten Lieblingsprojekte, manche sprachen auch von „Hitlers Lieblingsspielzeug“, galt eine Breitspurbahn mit drei Metern Breite und Waggons mit zwei Ebenen. Dieses größenwahnsinnige Vorhaben sollte circa 500 Meter lange Personenzüge mit weit über 1.500 Reisenden und bis zu 1.200 Meter lange Güterzüge mit bis zu 10.000 Tonnen Gesamtmasse in den Verkehr schicken. Dass diese Zahlen auch im normalen Betrieb auf der Standardspur zu bewältigen gewesen wären, ließ man nicht gelten. Auch die geplante viergleisige Konstruktion der neu gebauten Strecken sowie die zusätzlich erforderliche Infrastruktur sollten den geplanten Bau nach einem späteren Gewinn des Weltkrieges nicht verhindern. Nun, zum Glück ist Hitler gescheitert und diese überdimensionierten Kolosse verkehren nicht kreuz und quer über den ganzen Kontinent.

 

Getrennt aber doch verbunden

Obwohl die zahlreichen unterschiedlichen Spurweiten viele eigenständige Streckennetze bilden, so bestehen sie dennoch in friedlicher Koexistenz. Auch in den Anfangszeiten der Eisenbahn zeigte sich, dass das Umsteigen vielleicht nicht beliebt war, die neuen Transportmöglichkeiten aber dennoch angenommen wurden. Heutzutage muss man bei einen „Spurwechsel“ aber nicht einmal mehr umsteigen. Beispielsweise kann man an den westlichen Grenzen der ehemaligen Sowjetunion die Prozedur des Drehgestellwechsels gemütlich aus dem eigenen Abteilfenster aus beobachten. Jeder Waggon kommt auf einen überdimensionalen Wagenheber, unter ihm werden die Drehgestelle ausgetauscht und der Zug setzt seine Reise auf anderer Spur fort.

Beim Gütertransport lautet das Zauberwort „Umschlag“. Bei Schüttgut wird das Transportgut einfach in neue Waggons mit passender Spurweite umgeladen, während es bei Containern noch einfacher ist. Der gesamte Container wird rasch und unkompliziert auf das passende Rollmaterial hinübergehoben. Beispielsweise werden auf der Iron Silk Road die Container an der chinesisch-kasachischen bzw. chinesisch-russischen Grenze einfach von der Standardspur auf die russische Breite transferiert. Das gleiche Spektakel folgt dann einige Tage später nochmals in Polen, Ungarn oder der Slowakei, da dort vereinzelte Breitspurstrecken wie lange Finger ins europäische Streckennetz hineinreichen. Die ganze Prozedur läuft mittlerweile so schnell, dass die Schuld für manch verzögerten Transport eher beim Zoll und der Behördenbürokratie statt dem Spurweiten-Wirrwarr zu suchen ist.

Mittlerweile ist klar, dass keine weiteren Spurweiten das Licht der Welt erblicken werden und die drei, vier auch bislang am meisten verbreiteten Spuren als einzige signifikant wachsen werden. Vor allem die Standardspur wächst konstant in den sich schnell entwickelnden Ländern Ostasiens und hier vor allem in China. Die Eisenbahn und ihre Gleise mögen zwar divers sein, die Leistungen der Bahn als leistungsfähiges Transportmittel sind jedoch weltweit unbestritten.