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Mit der Erderwärmung eröffnet sich eine kürzere Route zwischen Asien und Europa

Eine Abkürzung durch das „ewige Eis“?

Die Nordostpassage gilt als der kürzeste Seeweg von Europa nach Asien. Einziges Manko: sie ist etwa die Hälfte des Jahres zugefroren und nicht passierbar. Aufgrund der Erderwärmung ändert sich dieser Umstand, mit zum Teil ungeahnten Möglichkeiten für die Frachtschifffahrt. Erfahren sie mehr über eine der abgelegensten und wohl kältesten nautischen Routen der Welt.

Die Aufnahme vermehrter Fahrten auf dieser bis dato eher vernachlässigten Route bietet der kommerziellen Schifffahrt zahlreiche Chancen. International als „Northern Sea Route“ bekannt, gilt die Passage als kürzeste maritime Verbindung zwischen dem Pazifik und dem Atlantik. Die Vorteile der Nordostpassage sind offensichtlich: Die Distanz zwischen China und den bedeutenden Häfen Nordeuropas ist etwa 40% kürzer im Vergleich zur Suezkanal-Durchfahrt und sogar 60% kürzer gegenüber der Route um Afrikas Kap Hoorn. Ob man zwischen Shanghai und Hamburg nun 21.000 km oder bei der Abkürzung entlang der Arktis nur 15.000 km fährt, macht einen großen Unterschied. Die Ersparnisse in punkto Zeit, Treibstoff und Emissionen sind in Zeiten harten Konkurrenzkampfs unter den Reedereien immens. Dass Seegebiete vermieden werden, die für Piraterie berüchtigt sind, ist da nur ein Bonus.

Viele Vorteile, ein großer Nachteil

Dass diese Schifffahrtsroute weiterhin von einer vergleichsweise geringen Anzahl an Schiffen befahren wird – täglich passieren mehr Schiffe den Suezkanal als die Strecke zwischen Barentssee und Beringstraße – hat einen ganz einfachen Grund: Die Passage ist mehr als die Hälfte des Jahres zugefroren und nur während eines kurzen Fensters zwischen Anfang Juli und Ende November schiffbar. Und selbst während dieser kurzen Zeit ist die Strecke kompliziert zu befahren. Zudem verlangt Russland Transitgebühren und bei schwierigen Eisverhältnissen müssen außerdem Eisbrecher als „Routensetzer“ verwendet werden. Deren Betrieb kostet zusätzlich. Schnelle Wetterumschwünge, plötzliche Eisbildung und „herrenlose“ Eisberge sind auch nicht zu unterschätzen. Zudem könnte es im Notfall schnell zu kritischen Situationen kommen, ist doch die Infrastruktur der nördlichen Häfen Russlands seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in schlechter Verfassung. Es überrascht also nicht, dass 2019 auf der Nordostpassage schon 19 Millionen Tonnen und 2020 bereits eine Rekordmenge von 33 Mio. Tonnen trasnportiert wurden. Der russische Präsident Wladimir Putin strebt bis 2024 ein Volumen von 80 Millionen Tonnen an. Zum Vergleich: 1,2 Milliarden Tonnen Fracht passierten den Suezkanal 2019.

Werden Eisbrecher bald obsolet?

Dieses kurze Zeitfenster, welches den Transit ermöglicht, wird sich durch die Erderwärmung in den kommenden Jahrzehnten ausdehnen. Zudem fällt der von Menschen verursachte Klimawandel in den arktischen Regionen stärker aus als beispielsweise in anderen Regionen der Erde. Die arktische Eisdecke ist über die letzten Jahrzehnte in ihrer Ausdehnung und Dicke zurückgegangen. Bereits am 29. August 2008 waren die Nordost- und die nordamerikanische Nordwestpassage erstmals beide gleichzeitig eisfrei. Seitdem zieht sich die Eisdecke von Jahr zu Jahr immer weiter zurück. So wurde im August 2012 bei einer Forschungsfahrt eines chinesischen Eisbrechers vom Pazifik in den Nordatlantik weitaus weniger Eis angetroffen als erwartet. Die Rückfahrt ermöglichte dadurch eine direktere und somit kürzere Route näher am Nordpol. Laut einiger Studien könnte die Nordostpassage während der Sommermonate bereits in den 2050er Jahren endgültig eisfrei sein.

Die Erschließung war eine Pioniertat

Diese klimatischen Veränderungen erscheinen im geschichtlichen Rückblick mehr als unerwartet, galt dieser Teil der Welt als lebensfeindliche Umgebung und die Erschließung als herausragende menschliche Pioniertat. Bereits ab dem 12. Jahrhundert stießen die Pomoren, russische Siedler, entlang der Küste in Richtung Sibiriens Osten vor. Ihr Vorstoß kam aber im Laufe der Zeit auf der Hälfte der Strecke zum Erliegen. Im 16. und 17. Jahrhundert versuchten Holländer, Engländer, Schweden und Dänen erfolglos, einen alternativen Seeweg nach Asien zu finden. Erst 1878/79 gelang es dem schwedischen Forscher Adolf Erik Nordenskiöld, mit dem Segelschiff „Vega“ von West nach Ost durchzustoßen. Von einer richtigen Durchfahrt konnte man aber nicht sprechen, steckte die „Vega“ doch insgesamt zehn Monate im Eis der Beringstraße fest. Es sollte noch bis 1932 dauern, ehe der sowjetische Eisbrecher „Aleksandr Sibirjakow“ die Route in einem Zug absolvierte. Erst 1967 wurde die Passage während der Sommermonate für die internationale Seefahrt freigegeben. Atomgetriebene Eisbrecher stellten seitdem den Betrieb sicher (noch 1987 zählte man 331 Durchfahrten), ehe mit dem Niedergang der UdSSR der maritime Verkehr entlang der Nordostpassage verkümmerte.

Erderwärmung ermöglicht kommerzielle Nutzung

Für Aufsehen sorgte 2009 die in Bremen ansässige Beluga-Schwergutreederei, als sie erstmals wieder mit zwei Handelsschiffen diesen Seeweg nutzte. Die im Spätsommer 2009 von Wladiwostok aufgebrochenen Schiffe „Beluga Fraternity“ und „Beluga Foresight“ besaßen nach Reederei-Angaben Eisklasse E3 und waren damit für die Passage geeignet. In Begleitung von Eisbrechern brachten sie Kraftwerksteile nach „Nowy Port“ und fuhren dann weiter nach Europa. Neben speziell gebauten Flüssiggastankern und Schüttgutfrachtern, passierte im September 2018 die „Venta Maersk“ als erstes Containerschiff dieser Größe die Nordostpassage innerhalb von 37 Tagen. Als großes Eisschiff der Eisklasse 1A (sie bewältigt Eis mit bis zu einem Meter Dicke) ist es durch einen verstärkten Rumpf speziell für den Einsatz in kalten Gewässern (bis zu minus 25 Grad Celsius) ausgelegt. Doch dass in naher Zukunft 24.000 TEU-Ozeanriesen diese Route wählen, ist mehr als unwahrscheinlich, hat sich doch bei der ersten Fahrt der „Venta Maersk“ ein großes Manko gezeigt: mit einem Tiefgang von lediglich 11 Metern sind manche Abschnitte einfach zu flach für die großen Containerschiffe. Die „Venta Maersk“ hat normalerweise eine Stellplatzkapazität von knapp 3.500 TEU, konnte aber wegen der geringen Wassertiefe lediglich 600 Reefer-Container mitführen. Da die wirklich großen Containerriesen mit ihrer Länge sowie mangelnder Eisklasse weitere Nachteile aufweisen, wird die Nordostpassage volumenmäßig nie in Wettbewerb mit der Suez-Route treten können.

“Im Augenblick betrachten wir die Nordostpassage nicht als brauchbare kommerzielle Alternative zu bestehenden Routen. Dennoch verfolgen wir die Entwicklung. Heute ist die Passage nur etwa drei Monate pro Jahr möglich aber das kann sich mit der Zeit ändern.“ 

Palle Laursen, Chief Technical Officer von MAERSK, zieht eine erste Bilanz nach der geglückten Überfahrt

 

Frachtschiff und Eisbrecher in einem!

Derzeit macht die Konstruktion eisgängiger, agiler Frachtschiffe, die auch ohne vorausfahrenden Eisbrecher mit schwierigen Verhältnissen zurechtkommen, große Fortschritte. Im Fachjargon „double acting ships“ genannt, sind sie mit einem speziell modellierten Schiffskörper ausgestattet. Je nachdem, ob sie in offener oder vereister See unterwegs sind, fahren sie entweder mit Bug oder Heck voraus. Erfolgreich verbindet dieser Schiffstyp zwei Rollen in einem und könnte bei bestimmten Transporten, wo die klassische, längere Route nicht in Frage kommt, zum Einsatz kommen.

Vorerst muss man sich noch gedulden

Selbst wenn es noch länger dauern wird: die globale Wirtschaft erwartet sich von dem verkürzten Versorgungsweg zu ihren europäischen und asiatischen Produktionsstätten sowie Absatzmärkten potentielle Vorteile. Im harten Preiskampf unter den großen Reedereien könnte die Passage durch das Eismeer womöglich zu einem entscheidenden Faktor werden. In der Branche wird bereits gemunkelt, dass sich China auf dieser Route mit seiner Staatsreederei COSCO zum Platzhirsch aufschwingen möchte. Umweltschützer warnen allerdings bereits jetzt vor zunehmendem Verkehr. Sie befürchten nachhaltige negative Konsequenzen für die äußerst sensible Natur in der Arktis. Zudem würde dadurch das Risiko von schweren Unfällen in der rohstoffreichen Region ansteigen, je mehr Schiffe auf der Route fahren. Wer weiß, ob die globalen Bestrebungen, die Erderwärmung einzuschränken, diesen Planungen bis dahin nicht doch noch einen Strich durch die Rechnung machen werden?

Ein Jahr eingefroren im Nordpolarmeer

Es ist die größte Arktisexpedition aller Zeiten: Ab Herbst 2019 driftet der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern eingefroren durch das Nordpolarmeer. Auf der MOSAiC-Expedition ("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate") erforschen Wissenschaftler aus 19 Nationen die Arktis im Jahresverlauf. Sie überwintern in einer Region, die in der Polarnacht nahezu unerreichbar ist. Allein die Naturgewalt der Eisdrift bietet ihnen diese einmalige Chance. Auf einer Eisscholle schlagen sie ihr Forschungscamp auf und verbinden es mit einem kilometerweiten Netz von Messstationen.

Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Ziel der Expedition ist es daher, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verstehen. Sie wird damit ein Meilenstein für die Klimaforschung, ihre Daten wertvoll für Generationen sein. Die Mission unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Eine internationale Flotte von Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route. Nur mit geeinten Kräften kann die Expedition gelingen.

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